01.10.2024, 20:59
Die Briefe in meiner Hosentasche fühlen sich an als würden sie Tonnen wiegen. Doch vielleicht sind es nicht die Briefe selbst, die sie so schwer erscheinen lassen, sondern eher das, was sie bedeuten. Ich hab’ die Briefe gestern auf dem Dachboden gefunden, nachdem meine Mutter mich nach oben geschickt hat, um das alte Geschirr zu suchen, dass sie damals für die Hochzeit meines Vaters genutzt hatten. Ein Blishwick-Erbstück, das bereits bei der Hochzeit meiner Großeltern und Urgroßeltern genutzt wurde. Auf dem Dachboden sind selten Menschen. Hier liegen all jene Dinge, die wir ohnehin kaum nutzen – alter Schrott, Dinge, die meine Mutter längst wegwerfen wollte, Dinge die aufbewahrt werden müssen, weil sie zu kostbar sind. Dinge, die irgendwann vergessen wurden und eigentlich nie für andere Augen bestimmt waren – so wie jene Briefe. Briefe meiner Mutter, die sie von einem anderen Mann erhalten hatte, einem Mann, den sie scheinbar mehr geliebt hat, als sie je meinen Vater geliebt hat. Ein Mann, der nie wirklich für sie gemacht gewesen ist, den ihre Eltern niemals akzeptiert hätten. Ein Mann, der – so wie es in den Briefen klingt – eigentlich mein Vater ist. Er hat ihre Schwangerschaft stets nur angeschnitten und doch ist es absolut offenkundig gewesen.
Meine Mutter habe ich nicht darauf angesprochen. Ich weiß nicht einmal wieso. Es bringt mir schlussendlich nichts und mir ist ebenfalls bewusst, was es wohl bedeuten würde, wenn mein Vater – oder der Mann, den ich stets für meinen Vater gehalten habe – davon erfährt. Und gerade heute ist es wohl von großer Bedeutung zu verheimlichen, wie es um den eigenen Stammbaum gestellt ist. Als nun jedoch Delilah kommt, deutet ich ihr an, mir ins Wohnzimmer zu folgen. Ich weiß gar nicht, ob ich es ihr wirklich zeigen sollte. Doch wenn ich schon die Welt und meinen eigenen Kopf belügen muss, will ich nicht sie auch noch belügen. Sie soll die Chance kriegen selbst zu entscheiden, ob sie ein solches Geheimnis in unsere Ehe mitnehmen will.«Die hab’ ich gefunden.» , sage ich und halte ihr den Stapel an Briefen hin. «Die gehören wohl meiner Mutter. Du solltest sie lesen.» Sagen kann ich es ihr nicht. Nicht jetzt. Das würde es nur noch realer machen.
Meine Mutter habe ich nicht darauf angesprochen. Ich weiß nicht einmal wieso. Es bringt mir schlussendlich nichts und mir ist ebenfalls bewusst, was es wohl bedeuten würde, wenn mein Vater – oder der Mann, den ich stets für meinen Vater gehalten habe – davon erfährt. Und gerade heute ist es wohl von großer Bedeutung zu verheimlichen, wie es um den eigenen Stammbaum gestellt ist. Als nun jedoch Delilah kommt, deutet ich ihr an, mir ins Wohnzimmer zu folgen. Ich weiß gar nicht, ob ich es ihr wirklich zeigen sollte. Doch wenn ich schon die Welt und meinen eigenen Kopf belügen muss, will ich nicht sie auch noch belügen. Sie soll die Chance kriegen selbst zu entscheiden, ob sie ein solches Geheimnis in unsere Ehe mitnehmen will.